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01. Mai 2022 // 12.25 Uhr

„Wir waren unheimlich stolz“

Klaus Sammer erinnerte sich im Interview in der AOK PLUS Walter-Fritzsch-Akademie an große Europapokal-Zeiten der Sportgemeinschaft. | Foto: Dennis Hetzschold

Klaus Sammer im exklusiven Dynamo-Interview


Es ist die dritte und letzte Retro-Box „Logo“: Die Edition „Europapokal“ ist seit vergangenem Donnerstag im Fanshop der SG Dynamo Dresden erhältlich. Im Zuge dessen hat sich nach Dieter Riedel und Ulf Kirsten nun eine weitere schwarz-gelbe Fußballlegende Zeit für ein Gespräch genommen: Im „Retro-Trikot“ gekleidet, welches an die Zeit um 1967 angelehnt ist, plauderte Ehrenspielführer Klaus Sammer über das erste große, internationale Spiel der Sportgemeinschaft, seinen alternativen Namensvorschlag für die AOK PLUS Walter-Fritzsch-Akademie und die gegenwärtige Phase der SGD in der 2. Bundesliga.Herr Sammer, was verbinden Sie mit den Stichworten „Heinz-Steyer-Stadion“ und „Glasgow“? 

Das war an und für sich die Grundlage. Man hatte plötzlich auch internationale Kontakte. Und um es rundheraus zu sagen: Im Prinzip sind wir eingesperrt gewesen, wir konnten international nicht spielen. Und da war das Spiel gegen die Glasgow Rangers natürlich etwas ganz Besonderes. Die waren dazumal europäische Spitzenklasse. Auch wenn wir am Ende knapp rausgeflogen sind, war es für uns als Mannschaft ein riesengroßes Erlebnis. Und: Glasgow war auch sehr großzügig, was Souvenirs anbelangt (grinst).

Und so bestritt Dynamo am 20. September des Jahres 1967 das erste Europapokal-Spiel seiner ruhmreichen Geschichte. Erinnern Sie sich daran, wie es überhaupt dazu kam?

Das war damals Europacup. Die Zusammenhänge, dass wir da überhaupt spielen konnten, die weiß ich nicht mehr zu 100 Prozent. Es war eigentlich Messestädte-Pokal, aber neben Leipzig durften auch wir damals antreten, das hatten die Dresdner Sportfunktionäre irgendwie eingefädelt. So konnten wir eben gegen die Glasgow Rangers spielen. Natürlich für den Verein und uns ein absoluter Glücksfall in der Rückbetrachtung.

Wenige hundert Meter Luftlinie vom heutigen Trainingsgelände der SGD am Messering, holte man im Heinz-Steyer-Stadion gegen die Glasgow Rangers ein 1:1. Wie haben Sie diesen Tag erlebt? 

Zunächst: Das Trainingsgelände hier und im Ostragehege ist wirklich großartig. Es herrschen sehr gute Bedingungen. Die AOK PLUS Walter-Fritzsch-Akademie könnte aber gut und gerne auch Kurt-Kresse-Akademie heißen (lächelt). Walter Fritzsch hat zweifelsohne Großes geleistet für den Verein. Aber auch Kurt Kresse hatte unglaubliche Verdienste im Nachwuchs, er leitete eine „heimliche“ Fußballschule hier im Ostragehege. Er hatte ein wahnsinniges Gespür und folgte als Trainer der Männermannschaft auf Manfred Fuchs, der in der Saison 1967/68 seinen Hut nehmen musste. Später wurde er dann durch Walter Fritzsch ersetzt und kehrte zurück in den Nachwuchs. 

Zum Glasgow-Spiel: Vom Ablauf her war es an und für sich ein ganz normaler Tag. Wir sind wie immer eingezogen worden, wie wir es gewohnt waren. Und wir konnten uns auch gut vorbereiten. Nur die Uhrzeit war etwas ungewohnt. Das Spiel fand irgendwann am Nachmittag statt (16 Uhr, Anm. d. Red.). Das war natürlich etwas schade, weil ich gerade Flutlichtspiele immer ganz besonders gemocht habe. Die Atmosphäre ist da immer eine andere und wäre für dieses Spiel natürlich noch etwas bemerkenswerter gewesen.

{media-left}Heutzutage gibt es unzählige Analysten, einen großen Trainerstab, der die Mannschaft gezielt und anhand von Videos und Aufnahmen auf den kommenden Gegner vorbereiten kann. Zur damaligen Zeit in diesem Ausmaß wahrscheinlich undenkbar. Wie bereitete man sich denn auf so ein Spiel wie gegen Glasgow vor?

Letztlich haben wir uns vorbereitet wie auf jedes andere Spiel auch. Unsere Spielvorbereitung fand eben viel in der Theorie statt. Wir kannten die Mannschaft ja nicht. Wir hatten keine Filmaufnahmen oder dergleichen. Was wir hatten, war eine innerliche Hochachtung vor diesem Gegner. Es war eine totale Spitzenmannschaft. Das Spiel war für uns wie auch für die Zuschauer ein Höhepunkt.

Was waren denn die größten Unterschiede zwischen dem „Dynamo-Fußball“ und dem, was die Schotten auf dem Platz vortrugen?

Der schottische oder englische Fußball damals war ja nicht so wie heutzutage. „Klein-Klein“ hinten rausspielen gab es da nicht, so wie man es heute oft auf der Insel sieht. Es wurde mehr oder weniger nur mit langen Bällen operiert, was uns natürlich entgegenkam. Ich habe später noch zigmal gegen englische Mannschaften gespielt. Ob das die Nationalmannschaft in Wembley war, Leeds United oder der FC Liverpool – das war ein vollkommen anderer Stil als heute. Hätten wir früher mit diesem „Klein-Klein“ gespielt, die hätten uns ausgepfiffen (lacht). Die Zeiten haben sich geändert.

Sie sehen das Retro-Trikot, was an die Garnitur der damaligen Zeit um 1967 erinnern soll. Kommen da Erinnerungen hoch – und wenn ja, welche? Welche Gefühle, Erfolge oder Momente verbinden Sie mit diesem Trikot?

Ja, natürlich. Ich habe ein Bild aus dieser Zeit, in diesem Trikot, gemeinsam Siegmar Wätzlich. Es steht bei mir zu Hause auf dem Schrank, da bleibt man schon auch mal stehen. Und dieses Trikot fühlt sich noch an wie die Trikots von früher. Die waren nicht so passgenau wie heutzutage. Außerdem hatten wir für die Saison, glaube ich, drei Garnituren. Da war nicht viel mit Verschenken nach jedem Spiel (schmunzelt).

Bevor Sie sich das Dynamo-Trikot überstreiften, kamen sie 1962 zunächst von der TSG Gröditz nach Dresden zu Einheit. Drei Jahre später verschlug es Sie dann zur SG Dynamo Dresden, die sie im Anschluss nie wieder verließen. Sie beendeten ihre aktive Laufbahn in Schwarz-Gelb und fungierten im Anschluss auch zweimal als Trainer. Wie kam es zu dem Schritt raus aus Gröditz und hinein nach Dresden?

Ich war im Nachwuchsbereich in Gröditz in der A-Jugend. Im Männerbereich habe ich Bezirksauswahl gespielt. Ich wurde dann nach Dresden delegiert, aber nicht zu Dynamo, sondern zum SC Einheit Dresden. Was ich bis heute allerdings nicht verstanden habe: Ich wurde zu Beginn erstmal für sechs Wochen gesperrt. Ich lache jetzt, aber ich habe es wirklich nie begriffen, aber auch nie genauer erforscht. Es war einfach so. Eine andere Zeit. Damals kamen auch noch alle Spieler aus der Umgebung, heute ist das ja ein heilloses Durcheinander. Aber nicht nur in Dresden, sondern auf der ganzen Welt. Aber so ist es und so ist es auch gut. Wir müssen uns diesen Dingen anpassen, auch die Zuschauer.

{media-right}Sie prägten eine Ära, waren nicht nur Teil, sondern auch einer der Grundsteine für die Erfolge der Siebziger- und Achtzigerjahre. Erfüllt es Sie mit Stolz, die Geschichte dieses großartigen Vereins so mitgeprägt zu haben?

Ja, natürlich. Es war eine wichtige Zeit, in der ich zu Dynamo stieß. Ich weiß noch: Als ich 1962 zusammen mit Klaus Engels kam, haben wir in den letzten vier Spielen noch um den Klassenerhalt gekämpft. Zwei Partien haben wir gewonnen und konnten die Liga halten. Da war zum Beispiel das letzte Spiel gegen Neubrandenburg: Klaus Engels und auch ich haben dort unseren Beitrag geleistet, er machte ein Tor, ich zwei. Und es hieß auch in den Folgespielzeiten immer: Nur der Klassenerhalt zählt. Mehr war damals auch nicht drin. Aber wir hatten dann irgendwann den vierten, fünften Platz geholt und dann begann die internationale Zeit. Wir sind nach Schweden gekommen und nach Dänemark. Das war eine super Zeit. Und das erste richtig große Spiel war dann eben jenes gegen die Glasgow Rangers. Wir waren unheimlich stolz.

Wie entwickelte sich das Ganze dann? Die Spielzeitverläufe wurden erfolgreicher, die Erfahrung durch internationale Spiele wuchs. Spürten Sie, dass Dynamo Dresden ein immer klangvollerer Name wurde?

Die Gegner kamen anfangs immer sehr selbstbewusst nach Dresden. Als wir dann aber Meister und Pokalsieger waren, hatten sie unheimlichen Respekt vor uns. Diese Entwicklung habe ich als sehr beeindruckend wahrgenommen. Wir hatten die Qualität, Spiele auch nach etwas fahrigen Leistungen zu gewinnen. Wenn du einmal oben stehst, wirst Du hochgetrieben. Wenn du unten stehst, so wie Dynamo in dieser Saison, wirst du noch weiter runtergedrückt. Das ist so im Fußball. Das kannst Du nicht erklären, du kannst es nur beschreiben. Deswegen „rammeln“ alle zum Fußball, deswegen ist dieser Sport einfach so interessant.

Herr Sammer, zum Abschluss: Die SGD steht gegenwärtig auf dem Relegationsplatz in der 2. Bundesliga. Wie schätzen sie die aktuelle sportliche Lage ein – und: Wird die SGD auch im kommenden Jahr in der zweithöchsten deutschen Spielklasse dabei sein?

Du darfst nicht verkrampfen, das war schon bei uns so. Du musst als Fußballer deine innere Ruhe behalten. Wenn man die hat, sieht man viel mehr auf dem Spielfeld – und das ist elementar. In dieser Saison bleibt noch die Relegation. Es wäre schön, wenn wir drinblieben. Die Ansätze hat die Mannschaft ohne Zweifel, aber Fußball ist und bleibt ein Ergebnissport. Und die Spiele werden eben nicht mit Reden gewonnen, sondern auf dem Platz. Man muss versuchen, Dinge zu erzwingen, man bekommt nichts geschenkt. Und über den Kampf kommt dann das Spielerische. Das Spiel sieht meist erst dann etwas gelöster aus, wenn man ein Tor erzielt hat. Da spielen auch die Fans eine große Rolle. Auch wenn man noch so enttäuscht ist, es bringt nichts, die eigene Mannschaft noch mehr unter Druck zu setzen. Man muss gemeinsam durch so eine Situation gehen. Aber auf dem Platz muss jeder Spieler für sich seine Entscheidungen treffen. Aber selbst wenn wir es nicht schaffen, in der Liga zu bleiben: Auch ein Abstieg kann völlig neue Dinge erwecken. Das habe ich nach dem Abstieg 1967/68 erlebt: Daraus ist etwas entstanden, wovon man in den Jahren danach gezehrt hat. Wir sind mit Kurt Kresse direkt wieder aufgestiegen in die Oberliga. Es geht immer weiter, so bitter es auch wäre für den Verein, die Stadt und die Fans. Aber noch ist alles drin.

Interview: Eric Ranninger

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